Bildungsreicher Medien – Talk mit Redaktor Daniel Wahl

Bildungsreicher Medien – Talk mit Redaktor Daniel Wahl

Daniel Wahl
Redaktor Dossier Bildung. Nebelspalter AG, seit Mai 2022
Vorher über 5 Jahre Chefreporter der Basler Zeitung.

Prolog
Daniel Wahl hat mich bereits mehrmals interviewt. Nachfolgend 2 Artikel.
Der Kunststoff-Revolutionär. Quer durch die Galaxien. Gomagazin 2022. (Link)
Der Düsentrieb der Schweizer Plastikbranche, Basler Zeitung 2016. (Link)
Daniel ist ein grossartiger Journalist und Mensch zugleich. Daniel ist wahrheitsliebend und deswegen auch entsprechend akribisch recherchierend und kritisch unterwegs. Ein brillanter, ehrlicher und direkter Journalist. Seine sprachliche Ausdruckskraft sucht auch seinesgleichen.
Ich freue mich deswegen sehr auf den bildungsreichen Medien-Talk mit Daniel.

 


Abb. 1: Die Klugen fahren im Zuge, doch die wirklich Gescheiten mit dem Rade, denn bei welcher anderen Erfindung ist das Nützliche mit dem Angenehmen so innig verbunden, wie beim Fahrrad und braucht darüber hinaus, trotz hohem Wirkungsgrad, keinen Strom?
Zwei Männer für alle Fälle: Daniel Wahl und Lars Rominger.

Interview

Lars Rominger:
Gelingt es Dir, Deinen Werdegang in drei Sätzen zu beschreiben?

Daniel Wahl:
Ich wurde geboren. Ich bildete mich aus. Ich arbeite. Caesar konnte es noch kürzer ausdrücken: Ich kam, sah und siegte. Die „extended Version“; directors cut gewissermassen, lautet: Auf der Zielgeraden zum Handelsdiplom erkannte ich, dass ich in einem reinen Bürojob verkümmern würde. Also steuerte ich das Lehrerdiplom an und absolvierte als Vorbereitung dazu ein journalistisches Praktikum – letztlich bei der Boulevardzeitung „Blick“. Dort habe ich das Journalisten-Virus eingefangen. Ich unterrichtete drei Jahre lang an einer Primarschule im Baselbiet und kehrte wieder in den journalistischen Beruf zurück. Zuerst im Print, dann am Fernsehen, heute für die Online-Ausgabe von „nebelspalter.ch“.

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Lars Rominger:
Hast Du Dich heute schon um den Zustand der Welt gesorgt?

Daniel Wahl:
Ja. Wenn ich die Medien lese – das muss ich aus beruflichen Gründen – dann bekümmern mich die Entwicklungen: die Polarisierungen, die moralistischen Ideologien, die Sorglosigkeit unserer „Finanz- und Konsumgesellschaft“, die ihre Lasten auch meinen vier Kindern aufbürdet. Dieses Bekümmern treibt an, dagegen anzukämpfen und weckt auch eine Leidenschaft in mir, nachzubohren und investigativ tätig zu sein. Journalismus ist ein toller Job.

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Abb. 2: Ist es möglich, gebildet zu werden, wenn man nur liest, was einem gefällt?
Im Medien – Talk mit Fokus auf «Bildung» mit Redaktor Daniel Wahl vor der Berufsschule Aarau.

 

Lars Rominger:
Du hast den Artikel «Wie das rot-grüne Basel den Kurden-Türken-Konflikt verschleiert» (Link) (Nebelspalter, 10. Mai 2022. ) geschrieben. Darin merkst Du u.a. kritisch an, dass wenn sich Türken und Kurden wie am Wochenende angreifen, dann erfährt niemand die Hintergründe, da die Sicherheitsbehörden die politisch motivierten PKK-Anschläge höchst selten als Terrorangriff erfassen, selbst dann nicht, wenn ein Bekennerschreiben dazu vorliegt.

Starker Tobak!
Hast Du noch Freunde in Basel?
Wie gehst Du mit Kritik und «Gegenwind» um?

Daniel Wahl:
Eine Arbeitskollegin warnte mich, wenn ich die Missstände so klar und deutlich beschreibe, würde mir niemand mehr etwas sagen und die Zugänge zu Informationen würden sich verschliessen. Das Gegenteil ist passiert. Ich konnte ich mich vor lauter Geschichten kaum retten und bin in ständige Beziehungsnot geraten: Viele Freunde und auch viele Erwartungen, die ich dann nicht mehr erfüllen konnte. Bei meinem neuen Arbeitgeber, den Nebelspalter, ist es momentan etwas anders: Mit dem Dossier „Bildung“ habe ich mich auf neues Terrain gewagt und muss mir Informationskanäle erst noch erschliessen.

Und ja, Gegenwind hatte ich: Behörden und Staatsbetriebe, die mich verklagten, Staatsanwälte die mich verurteilt sehen wollten und dann der Presserat, der sich mit ideologischer Brille auf die Behördenseite gestellt hat. Ich bin straffrei geblieben, aber der Presserat hat mich mehrfach gerügt. Dazu ein Beispiel: Ich fand heraus, dass 70 Prozent der Plätze auf Covid-Intensivstationen von Migranten belegt sind. Das fand ein links politisch gesinnter Journalistenkollege „gefährlich“ und „ausländerfeindlich“. Der Baselbieter Regierungsrat hat exakt diese Zahl einen Tag nach unserer Publikation im Parlament bestätigt. Der Presserat rügte mich, ich hätte gegen die Wahrheitspflicht verstossen, weil ich es am Tag zuvor nicht mit dieser Bestimmtheit hätte mitteilen können. Es scheint wie ein Naturgesetz zu sein: Wer austeilt, muss auch einstecken können.

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Daniel Wahl auf die Frage hin, ob er noch Freunde in Basel hat.

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Lars Rominger:
Als «Düsentrieb» möchte ich noch auf das sehr wichtige Thema «Forschungsplatz Schweiz» zu sprechen kommen. Wie waren die Leser:innen – Reaktionen auf Deinen Artikel «Horizon-Ausschluss Schweiz: zu 66 Prozent eine Falschaussage» (Link) (Nebelspalter, 08. Juli 2022)?
Der Hintergrund meiner Frage die mich nach den Leser:innen – Reaktionen fragen lassen, sind die nachfolgenden exemplarischen Aussagen in Deinem Artikel, die äusserst taff und brisant auf mich wirken:
Hinter vorgehaltener Hand sagen Forschende und Professoren, dass sie nach wie vor am grössten Forschungsprogramm der Welt (Gesamtbudget 95.5 Milliarden Euro) mitmachen, dass sie eingeladen werden, regelmässig an Hearings teilnehmen und sogar bei der Koordination ihrer Projekte helfen. Und zwar ausdrücklich auch im Bereich «Exzellenz», wo die Schweiz angeblich völlig ausgeschlossen sei und der europäische Forschungsrat (ERC) hochdekorierte ERC-Grants vergibt. Man könne sogar im Bereich Quantenforschung kollaborieren, wo die EU nicht assoziierte Drittländer angeblich überhaupt nicht an den Tisch lässt.

Daniel Wahl:
Die NZZ hat die Geschichte aufgenommen und versucht zu dementieren. Aber kein Argument wurde mit einem Gegenargument entkräftet, nichts konnte relativiert werden, was für mich eine grosse Genugtuung war. Die NZZ betonte einfach, das „Horizon“ für den Forschungsplatz Schweiz wichtig sei. An den verkappten Reaktionen kann ich es erahnen, dass mir viele Professoren zustimmen, beim Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) auch, aber keiner darf offen gegen die Finanzströme sprechen. Bei „Horizon“ muss man die ganz grossen Linien ziehen:

  1. Es geht um sehr viel Geld; die Professoren möchten an diesem Topf partizipieren, ohne sich gross anstrengen zu müssen.
  2. Die EU hat im Vergleich zur Schweiz geradezu schlechte Universitäten, darum beweint der europäische Forschungsplatz den Entscheid der EU-Politiker, die Schweiz (partiell) auszuschliessen. Die europäischen Unis und Forscher wollen eine 100-Prozent-Partizipation und öffnen der Schweiz unzählige Hintertüren.
  3. Die Welt ist sehr gross: Die wirklich guten Forscher und Professoren strecken ihre Fühler nach Boston, Kalifornien, Japan und Shanghai aus und auch nach England. Dort spielt die Musik, dort herrscht der Wettbewerb der guten Ideen. Sich nach der grossen Welt auszustrecken tut dem Forschungsplatz Schweiz nur gut.
  4. Beklagt wurde, dass wegen des Horizon-Ausschlusses der Forschungsplatz Schweiz an Attraktivität verliere und die Professoren ihm den Rücken kehren. Interessanterweise verlassen bis jetzt nur jene Forscher die Schweiz, die mit verzichtbaren Programmen auffallen. Etwa eine italienische Professorin, die seit Jahren an Übersetzungen eins italienischen Antifaschisten herumlaboriert.

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Lars Rominger:
Gerne komme ich noch auf Deinen Artikel «Bildungsdirektor: Es wird zwei Generationen dauern, um den Schaden zu reparieren» (Link) (Nebelspalter, 03. Juni 2022) zu sprechen, denn der Inhalt hat mein «Dozenten-Herz» erwärmt. Weshalb? U.a. sagt Bildungsdirektor Res Schmid, dass wieder vermehrt auf das unternehmerische und kompetitive Denken fokussiert werden soll.
Ich sehe dies persönlich ähnlich, denn am Ende des Tages geht es u.a. doch auch darum, dass die Student:innen befähigt werden, ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen und z.B. eine Familie aufzubauen.

Du verfügst u.a. über eine pädagogische Grundausbildung wie auch Praxiserfahrung als Lehrer, deswegen würde mich noch interessieren wie Deine persönliche Expertise zum derzeitigen Zustand des Bildungssystems aussieht.

Daniel Wahl:
Weltweit pumpt die Schweiz am meisten Geld in das Bildungswesen. Ein Grundschüler im Kanton Zürich kostet den Staat mittlerweile über 20‘000 Franken pro Jahr. Trotzdem produziert das teuerste Bildungswesen 20 Prozent Schulabgänger, die die „Minimalanforderungen ans Lesen, Schreiben und Rechnen“ nicht erfüllen. Drei Gründe möchte ich anführen, weshalb das so ist:

Erstens: Bei den Bildungsreformen ist es letztlich nie um Qualität der Schüler gegangen, sondern um personalpolitische Entscheide. Die Bildungskaste hat ihr Lohnbudget erweitert – entweder durch Auslagerungen und Kompensationen von Bildungsaufgaben oder durch Erweiterungen ihrer Aufgaben.

Zweitens: Seit Einführung des Integrationsmodells – das Zusammenführen von Verhaltensauffälligen, über Lernbehinderte zusammen mit einer immer grösser werdenden Gruppe von Migranten mit Sprachmankos in einer normalen Schulklasse – sinkt das Niveau der Grundschule bald ins bodenlose. Sämtliche Messresultate und Erhebungen weisen – leider oft nur indirekt – auf diesen Umstand hin. Die ganz schwachen Schüler erhalten teure, staatliche Unterstützung, für die Hochbegabten sucht man Extra-Lösungen. Hier muss man die Lehrer in Schutz nehmen, denn auch sie kochen mit Wasser. Ich meine damit, dass alle schwierigen Fälle extrem viel Energie brauchen und Aufmerksamkeit absorbieren. Verlierer ist das grosse Heer der Normalos.

Drittens glaubt die Bildungskaste – da zähle ich viele Lehrer explizit mit –,  Schule sei nur Musse. Der Mensch müsse sich nicht anstrengen, um zu lernen. Entsprechend wurden in den letzten Jahrzehnten didaktische und pädagogische Programme aufgegleist, die diesen ideologischen Einstellungen entsprachen: Schreiben nach Gehör, kein (effizienter) Frontalunterricht mehr, selbstorganisiertes Lernen, Werkstatt-Unterricht, dazu spassige Projektwochen und so weiter. Ich bin nicht per se gegen solche Programme, denn sie bringen Abwechslung in einen sonst verödeten Schulalltag. Aber das Training, das Vertiefen, das Ausharren, die Geduld – all das ist auf der Strecke geblieben.

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Lars Rominger:
Ich habe drei spannende Artikel* von Dir gelesen die sich mit dem «Linksdrall», «einseitigem Unterricht» und die «Transgender-Community» an den Schulen auseinandersetzt.
Ich versuche die Themenkomplexe kurz wie folgt zusammenzufassen:
Die Maturaarbeit von drei Maturanden zum politischen Linksdrall und der fehlenden Akzeptanz von freier Meinungsäusserung an den Aargauer Mittelschulen hat offensichtlich einen ausgewachsenen Kulturkampf ausgelöst. Die Essenz scheint zu sein, dass je bürgerlicher die Einstellung der Schüler:innen ist, desto mehr scheinen sich diese Schüler:innen unterdrückt zu fühlen. Unter den Top 15 der Informationskanäle der Jugendlichen liegt die Schule an der Spitze.
Die Empfehlung der Maturanden lautete:
Die Bildungsdirektionen sollten untersuchen, ob der politisch neutrale Unterricht noch gewährleistet ist.
*Linksdrall an Schulen. Das hat mich aufgeschreckt. (Link) Nebelspalter, 07. Juli 2022.
Alarm, wenn Lehrer einseitig an die Materie heranführen. (Link) Nebelspalter, 30. Juni 2022.
Transgender-Community bringt Schulen in Nöte. (Link) Nebelspalter, 11.07.2022. 

Wie kommt es, aus Deiner Sicht, dass vermehrt Links-Rechts Themen aufkommen?
Gibt es zielführende Ansätze, um dieser zunehmenden Polarisierung, eben nicht destruktiv bzw. «arenamässig» sondern harmonisch und vereinigend entgegenzuwirken?

Daniel Wahl:
Nach den schlechten Resultaten der Volksschule haben sich viele FDP-Kantonalparteien dem Thema Bildung angenommen. Ich glaube, das ist gut so. Denn der Freisinn geht oft etwas behutsamer vor, als die SVP, die manchmal mit dem Zweihänder unterwegs ist. Doch auch die FDP und deren Matura-Schüler, die die aufsehenerregende und meines Erachtens sehr sorgfältige Linksdrall-Untersuchung gemacht haben, erfahren jetzt, dass sie von linker Seite trotzdem niedergeschrien und diffamiert werden. Man muss nur die Tweets von SP-Nationalrat Cedric Wermuth lesen. Die Linke glaubt, ihre Deutungshoheit an den Schulen zu verlieren. Und ehrlich: der Linksdrall an den Schulen ist offensichtlich. Meine Kinder erzählen uns jeden zweiten Tag Müsterchen. Es hat sich seit der Friday-for-Future-Bewegung akzentuiert. Gibt es ein Rezept dagegen? Bis jetzt kenne ich keines, ausser mehr „Konkurrenz für die Volksschule“. Es muss Alternativen geben, um dem ausweichen zu können.

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Lars Rominger:
Welches Buch liest Du momentan und weshalb?

Daniel Wahl:
Ich habe gerade zwei Putin-Bücher auf dem Nachttisch: Den hervorragenden Schmöker „ Putins Netz – wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste“ von Catherine Belton. Sie beschreibt, mit welchen brutalen Mafia- und Geheimdienst-Methoden Putin an die Macht gelangt ist und wie seine Widersacher aus dem Weg geräumt wurden. Dann das Buch von Thomas Röper „Putin – seht ihr, was ihr angerichtet habt“. Röper liefert dem Westen sehr verdienstvoll und wie selten O-Ton von Putin selber. Denn kaum ein Medium hat sich wirklich damit auseinandergesetzt, was Putin gesagt hat. In Röpers Buch entdecke ich einen Menschen, der Stolz ist, die Armut in Russland wirkungsvoll bekämpft zu haben, der auch die tiefe Sehnsucht hat, Akzeptanz im Westen zu erhalten und zusammen im Frieden wirtschaften zu können. Putin zeigt sich auch verletzt als Herrscher, der im Kampf gegen den islamischen Terrorismus aussen vor gelassen wurde. Ich lese von Putins authentischen Befürchtungen, wenn die Nato in der Ukraine das Militär ausbildet und Raketen aufstellt. Ich entdecke auch seine tiefe Abneigung gegenüber dem westlichen Verrat an christlichen Werten.

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Lars Rominger:
Welche Frage würdest Du noch gerne beantworten?

Daniel Wahl:
Welchen Stellenwert hat die Musik im Leben?
Ich bringe es gleich auf den Punkt. Würden alle Menschen gemeinsam Singen und diese universelle Sprache nutzen, hätte niemand Zeit und Lust zu kriegen.

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Schliessen möchte ich mit Heinrich Heine:
«Geld ist rund und rollt weg, aber Bildung bleibt.»

Herzlichen Dank für das aufschlussreiche und bildungsreiche Gespräch!

Lars Rominger im Herbst 2022

2 Comments
  • Stephan Lehmann-Maldonado
    Posted at 13:03h, 24 Oktober Antworten

    Von der Beziehung Schweiz-EU über die Bildungspolitik bis zu Putin: Dieses Interview regt zum neu denken und weiter denken an. Ich hoffe, es findet eine weite Verbreitung – und danke den Protagonisten Daniel Wahl und Lars Rominger!

    • Lars Rominger
      Posted at 13:23h, 26 Oktober Antworten

      Herzlichen Dank Stephan Lehmann für Dein Feedback, dass mich sehr gefreut hat! Liebe Grüsse Lars

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