Herr der Tankstellen! Hochinteressante Mineralöl-Besprechung mit dem smarten Andreas Flütsch, Geschäftsführer der Migrol AG

Herr der Tankstellen! Hochinteressante Mineralöl-Besprechung mit dem smarten Andreas Flütsch, Geschäftsführer der Migrol AG

Andreas Flütsch
Chief Executive Officer von Migrol AG.
Branche: Mineralölhandel
Umsatz: 1,8 Mrd. CHF (2022)*
*Finanzielle Berichterstattung In: report.migros.ch. Abgerufen am 01. Juli 2023.=> gemäss Jahresbericht Migrol AG

Andi und ich kennen uns schon seit mehr als 5 Jahren. An gemeinsamen Referaten zu Themenkreisen wie Rohstoff und Energieversorgung fiel mir jeweils auf, dass ihm niemand das Öl reichen konnte. Soweit auch nicht verwunderlich, denn Andi startete seine berufliche Karriere bei der ABB und Shell, bevor er später für die Petroplus Gruppe das gesamte europäische Vertriebs- und Marketinggeschäft verantwortete. Von 2012 bis 2021 war er als erster Geschäftsführer und anschliessend Mitglied der Konzernleitung massgeblich am erfolgreichen Aufbau der Varo Energy Gruppe beteiligt. Seit Mai 2021 führt Andi die Migrol AG als CEO durch die laufende Energiewende und freut sich auf die kommenden Herausforderungen.
Von daher freut es mich sehr, dass ich mich mit dem ausgewiesenen Kenner der Mineralöl- und Energiebranche ein Interview führen kann.

 


Abb. 1: Auf Erdölsuche in Unterägeri mit dem bodenständigen und authentischen Andreas Flütsch, CEO der Migrol AG bzw. dem “HERR der Tankstellen”. Zusammen mit dem Buchtitel “Im Reiche des schwarzen Goldes” aus der Reihe Tim und Struppi des belgischen Zeichners Hergé.

 


Abb. 2: Eine von rund 310 Migrol-Stationen in der Schweiz. Bild: zVg.

 

Interview

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Lars Rominger:
Hast Du Dich heute schon um den Energie-Zustand der Welt gesorgt?

Andreas Flütsch:
Ich sorge mich weniger um den Energiehaushalt der Welt als vielmehr um den Zustand der Natur sowie des Klimas. Energieformen hat die Menschheit schon immer in genügendem Ausmass gefunden und trotz allen Prophezeiungen ist uns die Energie noch nie ausgegangen. Auch das Oelzeitalter, das vielen Demokratien einen grossen Reichtum ermöglicht hat, neigt sich dem Ende zu und wird durch effizientere Energieformen abgelöst werden, obwohl die Reserven an Rohöl noch viele Jahrzehnte ausreichen.

Der Klimawandel zwingt uns zum Handeln und den Weg zu erneuerbaren Energiequellen ist einzuschlagen. Jedoch bereitet mir die laufende grosse Wette einiger europäischen Ländern, inklusive der Schweiz, einige Sorgen. Die Zukunft wird ausschliesslich in der Elektrifizierung der gesamten Wirtschaft und Mobilität gesehen, ohne einen fundierten Plan vorzuweisen, wie wir den grünen Strom im Sommer wie im Winter in genügendem Ausmass produzieren können. Gleichzeitig wollen wir den klimafreundlichen Atomstrom aus sicherheitspolitischen Überlegungen ebenfalls ersetzen. Das Prinzip Hoffnung wird grossgeschrieben. Deutschland hat mit dieser Energiepolitik einen kompletten Schiffbruch erlitten und ist gezwungen wieder Kohlekraftwerke hochzufahren, um seinen täglichen Strombedarf zu decken. Dem Klima wird somit sicherlich nicht geholfen und die Schweiz sollte möglichst aus den schmerzhaften deutschen Erfahrungen lernen.
Leider sind heute viele Politiker und Bundesämter sehr dogmatisch und nicht pragmatisch unterwegs. Dabei geht es nicht nur um die eigentliche Lösung der Klimaherausforderung, sondern mindestens so stark um die politische Gestaltung der Gesellschaft und der Umerziehung der Bevölkerung. So wird zum Beispiel der Entwicklung von synthetischen Treibstoffen von der Politik und Bundesämtern keine Glaubwürdigkeit beschieden und als Option komplett negiert, obwohl hier in den letzten Jahren massive Fortschritte erzielt wurden.

Diese sogenannten Syn- oder E-Fuels sind CO2-frei und haben den grossen Vorteil, dass wir die heutige Infrastruktur weiternutzen könnten und die Energiewende zu tieferen Kosten realisiert werden könnte. Wahrscheinlich kommen sie zu spät für die Erreichung der ambitionierten kurzfristigen Ziele bis 2030, aber die synthetischen Treibstoffe werden sich höchstwahrscheinlich mittelfristig durchsetzen und könnten einen grossen Beitrag zur fossilfreien Zukunft leisten.

Die Elektrifizierung der Gesellschaft ist ein wichtiger Weg in die Zukunft, den wir beschreiten sollte, ohne die andere Wege in eine emissionsarme Zukunft bereits auszuschliessen.

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Lars Rominger:
Wie nützlich war Dein “Master’s degree in Science of Economy, Business Administration*” an der Universität Zürich für Deine berufliche Laufbahn?
(Als Dozent interessiert mich dies natürlich ganz besonders.)
*Grade: Magna cum laude


Andreas Flütsch:
Eine erfolgreich abgeschlossene Ausbildung, natürlich auch ein Wirtschaftsstudium, ist sicherlich ein sehr guter Einstieg ins Berufsleben und zeugt von der Fähigkeit mit Widerständen und Druck umgehen sowie Probleme zumindest analysieren zu können. Danach ist es wichtig eine Berufsrichtung und ein Unter-nehmen zu wählen, in dem man mit Spass und Freude seine Erfahrungen sammeln kann.

Der Faktor Glück spielt in der beruflichen Laufbahn sicherlich auch eine Rolle. Jedoch bin ich überzeugt, dass das «Glück» öfters als gedacht, an der Türe klopft. Die Frage ist dann, ob man bereit ist, das Glück in die eigenen Hände zu nehmen. Persönlich war ich regelmässig offen für Herausforderungen und Veränderungen, auch geografischer Natur. So durfte ich für ABB in Ecuador arbeiten, für Shell in Hamburg und London. Zudem hatte ich das grosse Glück, dass mich meine Frau und meine Familie bei diesen Herausforderungen immer unterstützen und wir sie gemeinsam angehen durften.

Die Abwicklung des Konkurses der Petroplus vor über 10 Jahren war ein trauriges, aber lehrreiches Kapital in meinem Berufsleben. Dafür war der anschliessende Aufbau der Varo-Gruppe umso erfreulicher und erfüllt mich auch mit Stolz. Heute ist die Varo ein Konzern, der in Europa in vielen Ländern aktiv ist, über 1’000 Mitarbeiter beschäftigt und sich nun auf die Fahne geschrieben hat, seinen Beitrag zur Energiewende aktiv beizutragen.


Abb. 3: Für einen ausgezeichneten Kunden-Service geht Andi gut und gerne stets auch die Extrameile. Bild: zVg.

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Lars Rominger
Im Mai 2021 hast Du als CEO das Ruder bei der Migrol AG übernommen.
Wie war Dein Einstieg und wie soll die Erfolgsreise weitergehen?

Andreas Flütsch:
Nach vielen Jahren im Umfeld von Privat-Equity-Gesellschaften habe ich mich nach reiflicher Überlegung entschieden zum Abschluss meiner beruflichen Karriere in die Genossenschaftswelt einzutauchen und die Leitung der Migrol zu übernehmen. Die Migrol ist eine Aktiengesellschaft und gehört dem Migros-Genossenschafts-Bund. Als Quereinsteiger darf ich fast täglich dazulernen, wie die Migros-Gruppe funktioniert und wie die verschiedenen Genossenschaften zusammenarbeiten. Die Komplexität und Schwerfälligkeit der Strukturen in der Migros ist nicht zu unterschätzen, jedoch ist das Potential des orangen M beeindruckend und auch die Migrol könnte im Gesamtverbund noch viel mehr profitieren.

Mein Einstieg verlief sehr vielversprechend und in den ersten beiden Jahren ist es uns gelungen, die Migrol-Strategie 2035 in allen relevanten Gremien zu verabschieden sowie die Migrol als Kompetenz-zentrum für E-Mobilität der gesamten Migros-Gruppe zu positionieren. Zusammen mit unserer Schwester-gesellschaft migrolino möchten wir im Convenience-Markt weiterhin wachsen und die Bedürfnisse vieler Kunden an den Tankstellen decken.

Migrol hat sich auch im wörtlichen Sinn auf die Reise gemacht und ist mit seinen Hauptsitz Anfangs 2023 nach Adliswil umgezogen. Nach Jahrzehnten am alten Standort ist eine solcher Umzug für eine Organisation eine grosse Veränderung. Gleichzeitig verändern sich unsere traditionellen Märkte stark und die Nachfrage fossilen Brenn- und Treibstoffe reduziert sich jährlich. Diesem Rückgang begegnen wir mit dem Aufbau eines nationalen Netzes von Elektroschnellladestationen an unseren Tankstellen sowie möglicherweise von Elektroladestation in den Einkaufszentren der verschiedenen Migros-Genossenschaften. Zusätzlich testen wir die Möglichkeit eines «rundum Sorglos»-Paket im Bereich von Photovoltaik-Anlagen. Dabei möchten wir lokalen Hausbesitzern die PV-Anlage auf ihren Dächern installieren, unterhalten und im Abo-Modell vermieten. Den Strom für den Eigenbedarf nutzt der Hausbesitzer und den überschüssigen Strom kaufen wir zu interessanten Konditionen ab.

Wir sind bestrebt, unsere traditionellen Mobilitäts- sowie Wärmemarktkunden so lange wie notwendig zu betreuen und gleichzeitig täglich neue Kunden mit den alternativen Energieformen wie E-Mobilität oder Solarenergie zu gewinnen.

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Abb. 4: Als ausgesprochener Tim und Struppi – Fan konnte ich es mir beim «Öl-Talk» nicht verkneifen, den Band «Im Reiche des schwarzen Goldes» des belgischen Zeichners Hergé einzubringen.
Erstveröffentlichung: 28. September 1939 in Le Petit Vingtième.
Ausgangslage der Geschichte: Immer öfter explodieren Benzintanks in Tims Heimat, unter anderem auch im Auto von Schulze und Schultze. Gleichzeitig herrscht eine angespannte Weltlage: in den Zeitungen wird von Kriegsgefahr und Mobilmachung gesprochen. Während Schulze und Schultze die Werkstätten als Profiteure der Pannenserie unter die Lupe nehmen, wendet sich Tim an den Direktor der Benzinfirma Speedol. Auch dort hat man keine Erklärung für das verunreinigte Benzin …

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Lars Rominger
Henry Kissinger sagte mal: „Wer das Öl kontrolliert, ist in der Lage, ganze Nationen zu kontrollieren; wer die Nahrung kontrolliert, kontrolliert die Menschen.“
Hat Kissinger damit recht?

Andreas Flütsch:
Henry Kissinger, mittlerweile 100 Jahre alt geworden, hatte in vielen strategischen Themen eine ausgewiesene, pointierte Meinung. Ohne Energie – sei es Oel oder Strom – funktioniert in unserer modernen Welt fast nichts mehr. Das Durchspielen eines Blackouts in einer Krisenstabsübung im letzten Herbst hat uns klar aufgezeigt, dass wir ohne Strom sehr schnell in sehr grosse Probleme laufen werden. Ein Stromausfall für 12 Stunden könnte uns allen die Augen öffnen und eventuell auch die Bundesbeamten und Politiker in Bern etwas wachrütteln …

Vorausgesetzt, die Herstellung von synthetischen Treibstoffen erzielt weiterhin grosse Fortschritte, wird der Verbrennungsmotor auch in der Zukunft eine Rolle auf der Welt spielen. Ich erwarte, dass für die Entwicklungsländern und das weltweite Klima die Weiterentwicklung des Verbrennungsmotors und die Herstellungen von preiswerten synthetischen Treibstoffen entscheidend sein wird. Aufgrund der geografischen Lage werden wahrscheinlich wiederum die rohstoffreichen Länder in Nordafrika und im arabischen Raum in der Herstellung von grünem Wasserstoff oder synthetischen Treibstoffen federführend sein. Die Abhängigkeit vom Ausland würde somit zwar bestehen bleiben, jedoch sind die Voraussetzung für die Produktion von Solarstrom im Sonnengürtel der Erde um ein Mehrfaches besser als in unseren Breitengraden. Die Sonne scheint täglich, scheint länger sowie intensiver und der Bau von Solaranlagen wird nicht durch demokratische Minderheiten beeinträchtigt. Technisch basiert die Herstellung von E-Fuels auf bewährten Verfahren und sollte keine Herausforderung darstellen. Die offene Frage ist hingegen die Skalierung der Produktion sowie die Herstellungskosten von E-Fuels. Gemäss Vorträgen an der kürzlich in Luzern abgehaltenen Powerfuel-Woche schätzen die Experten die Kosten bis zum Ende dieses Jahrzehntes bei 80 Rappen bis 1 Franken pro Liter. Sollte sich dies Zahl bewahrheiten, würde dies einen absoluten Durchbruch darstellen.

Da ich mir eine grüne Stromversorgung mit entsprechender Ladeinfrastruktur in Asien, Afrika und Süd-amerika schwer vorstellen kann, sind wir auf eine weltweit gute Mischung verschiedener, emissionsfreien Antriebsformen angewiesen. Persönlich erwarte ich, dass sich das Elektroauto in Europa durchsetzen wird, der Verbrennungsmotor mit synthetischem Treibstoff in der nächsten Dekade jedoch eine Renaissance erleben wird und weltweit eine gute Alternative zum Elektromotor darstellt. In der Schweiz gilt es nun die Wette zu gewinnen und jederzeit genügend grünen Strom herzustellen um die begonnene Elektrifizierung ohne zu grosse Verzichte für die Gesellschaften umzusetzen.

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Lars Rominger:
Welches Buch liest Du momentan?

Andreas Flütsch:
Ich lese täglich die NZZ und unsere Lokalzeitung. Auf meinem Nachttisch liegt momentan zwar kein Buch, doch für die Sommerferien werde ich mir sicher neue Taschenbücher von Ken Follet, John Grisham oder Lee Child besorgen. In den Ferien geniesse ich gerne spannende, gut recherchierte Krimis und kann mich dann problemlos stundenlang verkriechen.


Abb. 5: Das Buch «High Heat» von Lee Child passt gut zu den beeindruckenden Ausführungen zur Klima-Herausforderung von Andreas Flütsch zu meiner einleitenden Frage: Hast Du Dich heute schon um den Energie-Zustand der Welt gesorgt?

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Lars Rominger:
Welches Zitat, Botschaft oder Lebensmotto möchtest Du uns auf den Weg geben?

Andreas Flütsch:
Jede Person ist selbst verantwortlich, wie sie durch das Leben geht und nach welchen Weisheiten oder Lebensmotto sie lebt. Persönlich erachte ich das heutige Leben in vielen Bereichen als zunehmend komplex und deshalb versuche ich oft das KISS-Prinzip anzuwenden – «Keep it simple and smart (oder stupid)»- und mich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Gemäss dem Motto «Lachen ist gesund» lache ich gerne und nehme nicht immer alles so ernst, was um uns geschieht – auch mich nicht. 🙂

 

Herzlichen Dank für das höchst lehrreiche Gespräch!

Lars Rominger im Juli 2023

Weitere Lars war’s – Talks (Link) 

 

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